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Welche Entwicklungen prägten das Zusammenwirken von Sport und Politik? | Sport und Politik | bpb.de

Sport und Politik Editorial Ist Sport politisch? Welche Entwicklungen prägten das Zusammenwirken von Sport und Politik? Wer entscheidet in der Sportpolitik? Bühne für die Politik? Protest statt Party? Integrität und Good Governance im Sport? Beruf oder Berufung? Europäische Identität durch Sport? Sozialer Zusammenhalt durch Sport? Glossar Literatur- und Onlineverzeichnis Impressum
Informationen zur politischen Bildung Nr. 357/2023

Welche Entwicklungen prägten das Zusammenwirken von Sport und Politik? Historische Meilensteine und Zäsuren

Jürgen Mittag

/ 15 Minuten zu lesen

Wechselwirkungen zwischen Sport und Politik gab es schon immer. Im 20. Jahrhundert nutzten Staaten Sport verstärkt zu politischen Zwecken, aber auch der organisierte Sport verfolgte politische Ziele.

Verbotene Freundschaft: Der Deutsche Carl Ludwig (Luz) Long und der US-Amerikaner Jesse Owens (r.), die bei Olympia 1936 im Weitsprung gegeneinander antraten und Gold und Silber gewannen, wurden zum Missfallen Hitlers und der Nationalsozialisten laut Owens zu Freunden. Hier am 4. August 1936 im Berliner Olympiastadion. (© Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Dem 1950 verstorbenen irischen Dramatiker und Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw wird die Aussage zugeschrieben, dass der Sport keinen Beitrag zur Völkerverständigung leiste, sondern vielmehr den „heftigen Hass zwischen den Nationen verstärkt und auch zwischen jenen Völkern Zwietracht sät, die ansonsten keinen natürlichen Grund haben, miteinander zu streiten“. Der 2013 verstorbene südafrikanische Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela hat hingegen die völkerverbindende Wirkung des Sports hervorgehoben und erklärt: „Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern. Er hat die Kraft, zu inspirieren. Er hat die Kraft, Menschen auf eine Weise zu vereinen, wie es kaum etwas anderes vermag.“

Diese so gegensätzlichen Aussagen können beide jeweils Gültigkeit beanspruchen: Genauso wie der Sport über das Potenzial zur Integration von Menschen in Gemeinschaften verfügt, so kann er auch den Ausschluss aus einer Gemeinschaft oder Grenzen zwischen diesen befördern. Und ebenso wie der Sport zur Friedenstiftung und Völkerverständigung beitragen kann, vermag er auch Gegensätze und politische Auseinandersetzungen zu verstärken. Der Sport fungiert vielfach als Projektionsfläche und als Verstärker von gesellschaftlichen und politischen Prozessen. Zugleich besitzt er aber auch einen Eigensinn, einen Kern von Werten und Strukturen, der robust gegenüber Vereinnahmungen ist.

Wechselwirkungen zwischen Sport und Politik als historische Triebkraft

Wechselwirkungen zwischen Sport und Politik gab es bereits in der Antike. Die Olympischen Spiele im antiken Griechenland besaßen neben ihrer sportlichen und religiösen Dimension auch eine starke politische Komponente, so etwa als Kräftemessen der einzelnen griechischen Stadtstaaten. Mittelalterliche Turniere dienten der Stärkung der militärischen Schlagkraft, trugen mit ihrer Inszenierung im Rahmen von Festen aber auch zur Herrschaftssicherung der Obrigkeit bei. Die Gründung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im Jahr 1894 war auch von der damaligen internationalen Friedensbewegung beeinflusst.

Ins Leben gerufen wurden die Olympischen Spiele der Neuzeit von dem französischen Pädagogen, Historiker und Sportfunktionär Baron Pierre de Coubertin (1863–1937). Dieser sah in der Wiederbelebung der Olympischen Spiele der Antike eine Möglichkeit, die in Konflikten verhafteten Nationen zusammenzubringen und so einen Ort der internationalen Verständigung zu ermöglichen. Mit der Verknüpfung von sportlichem Wettbewerb und dem „ideellen Überbau“ olympischer Werte trug Coubertin wesentlich zur fortschreitenden Politisierung des Sports bei. Das bei der Einführung der Olympischen Spiele der Neuzeit 1894 entwickelte Konzept, nicht nur um Medaillen und Rekorde zu kämpfen, sondern auch den Idealen des Olympismus und olympischen Werten wie Freundschaft und Respekt verpflichtet zu sein, wurde von Anfang an aber immer wieder von den politischen Rahmenbedingungen überlagert.

In Deutschland waren Turnvereine im 19. Jahrhundert wichtige Orte des politischen Gedankenaustausches, in denen sowohl Forderungen nach nationalstaatlicher Einigung als auch nach Demokratisierung verhandelt wurden. Das Spannungsverhältnis zwischen (deutschem) Turnen und (britischem) Sport zum Ende des 19. Jahrhunderts sowie die Debatten über die Sinnhaftigkeit von Wettkämpfen spiegeln auch unterschiedliche Weltanschauungen und Werte wider.

Im Zuge der Industrialisierung wurden zahlreiche Arbeiterturnvereine und im Jahr 1893 im Deutschen Reich auch ein zentraler Arbeiter-Turnerbund gegründet, der sich als Gegenpol zu den bürgerlichen Sportverbänden positionierte. Dass sich die Arbeiterturnvereine nicht nur als sportliche, sondern auch als soziale Bewegung verstanden, dokumentieren ihre politischen Ziele: Neben der Betonung von spezifisch sozialistischen Erziehungsaufgaben, trat man u.a. für die Aufhebung der Geschlechtertrennung im Sport, die Stärkung demokratischer Vereinsstrukturen und den Verzicht auf Wettbewerb zugunsten eines auf Ästhetik und Solidarität bezogenen Sportverständnisses ein.

Angesichts sich verändernder Zeitstrukturen in der Arbeitswelt am Ende des 19. Jahrhunderts avancierte der Sport verstärkt zur Freizeitbeschäftigung breiterer Bevölkerungsschichten. Binnen weniger Jahrzehnte entstand nicht nur eine differenzierte Organisationsstruktur des Sports, sondern auch ein dichtes infrastrukturelles Netzwerk an Sportstätten. Neben den Kommunen zählten dabei auch Unternehmen durch den Aufbau von Werkssportvereinen sowie öffentliche Einrichtungen in Form von Schulen oder Vereinen zu den Wegbereitern des Sports. Gekennzeichnet war der Sport in dieser ersten Phase vor allem durch die Orientierung an Leistungs-, Konkurrenz- und Rekordprinzipien.

Prägende Wirkung übten im Kaiserreich und der Weimarer Republik die großen gesellschaftlichen Konfliktlinien auf den immer populärer werdenden Sport aus, die auch in der Organisation des Sports zum Ausdruck kamen: 1927 waren rund 1,4 Millionen Menschen im bürgerlichen Sport und 1,1 Millionen im Arbeitersport organisiert. Ungefähr eine Million Sportlerinnen und Sportler hatte sich den konfessionellen Sportverbänden, der Deutschen Jugendkraft (DJK, katholisch) und dem Eichenkreuz (evangelisch), angeschlossen. Mit Makkabi Deutschland bestand seit 1903 auch ein Dachverband der deutsch-jüdischen Sportvereine. Hinzu kamen noch die Turnvereine, die in den 1920er-Jahren etwa 1,6 Millionen weitere Mitglieder zählten. Die zersplitterten und milieugebundenen Sportstrukturen in Deutschland markierten neben anhaltenden Kontroversen über das Verhältnis von Amateur- und Profisport ein zentrales Konfliktfeld der Weimarer Republik.

Die Olympischen Spiele 1936

Das Ende der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtübernahme führten zu einem deutlichen Bruch in den deutschen Sportstrukturen. Die an soziale Milieus und parteipolitische Bewegungen gebundenen Sportverbände wurden gleich- oder gänzlich ausgeschaltet. Stattdessen dominierten der NS-Ideologie verhaftete Organisationen fortan auch den Sport. Zugleich nutzten die Nationalsozialisten den Sport stärker als jede andere Staatsmacht zuvor für politische Zwecke: Der Beschluss des IOC, Deutschland mit der Ausrichtung der Olympischen Winter- und Sommerspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und Berlin zu betrauen, war noch zu Zeiten der Weimarer Republik getroffen worden. Die Nationalsozialisten ergriffen nach anfänglicher Ablehnung der olympischen Idee die Gelegenheit, um ein weltoffenes und friedliebendes Deutschland, vor allem aber ein modernes und leistungsfähiges Regime zu präsentieren.

Hierzu erhöhten sie den ursprünglichen Weimarer Etatansatz von sechs auf rund 100 Millionen Reichsmark, gaben den Bau eines neuen Großstadions in Auftrag und entwickelten völlig neue Formate der medialen Inszenierung und Vermittlung von Sport. Als Paradebeispiel gilt hier die Idee des olympischen Fackellaufs, die allerdings bereits 1931 von einem jüdischen Archäologen entwickelt wurde. Begleitet wurden die Spiele von zahlreichen Sportinszenierungen und Kunstausstellungen.

Vorbehalte im Ausland im Vorfeld der Spiele angesichts der anhaltenden Judenverfolgung im Deutschen Reich wurden durch eine zeitlich begrenzte Rücknahme judenfeindlicher Maßnahmen reduziert: Auch der Verzicht auf antisemitische Plakate im öffentlichen Raum und die Nominierung der jüdischen Athletin Helene Mayer, der Fecht-Olympiasiegerin von 1928, als Alibi dienten diesem Zweck. Ein drohender Boykott konnte so abgewendet werden.

Das Echo auf die Olympischen Spiele 1936 war angesichts des hohen Politisierungsgrades gespalten: Die Besucherinnen und Besucher vor Ort zeigten sich zwar vielfach begeistert über die modernisierten Spiele und die olympische Idee erhielt erheblichen Auftrieb; zum erhofften politischen Prestigegewinn des NS-Regimes im Ausland kam es angesichts des Wissens über dessen prinzipiell diktatorischen Charakter jedoch nicht.

Langfristig in der Erinnerung verhaftet blieb nicht, dass Deutschland die inoffizielle Nationenwertung vor den USA gewann. Vielmehr war es das Bild von den einträchtig neben den Olympischen Fahnen im Wind wehenden Hakenkreuzflaggen, das seinen Teil dazu beitrug, dass Sport und Politik auch nach dem Zweiten Weltkrieg eng miteinander verzahnt blieben.

QuellentextJüdische Sportlerinnen und Sportler und Olympia 1936

Obwohl das NS-Regime dem IOC wiederholt die Teilnahme jüdischer Sportler an den Olympischen Spielen in Aussicht gestellt hatte, besaßen Juden in Wahrheit nie eine Chance zur Aufnahme in den deutschen Olympia-Kader. Zur Verhinderung dieser Teilnahme waren aus Sicht der NS-Sportführung gar keine größeren manipulativen Eingriffe notwendig: Die katastrophalen Trainingsbedingungen, unter denen jüdische Athleten ihren Sport in NS-Deutschland ausüben mussten, sowie die fehlenden Möglichkeiten zu Vergleichswettkämpfen mit Sportlern außerhalb ihres eigenen Verbandes stellten ein frühzeitiges Scheitern der jüdischen Athleten an den Olympia-Normen so gut wie sicher.

Über die tatsächlichen Zustände im jüdischen Sport in Deutschland war die Weltöffentlichkeit frühzeitig informiert, wenn sie den richtigen Quellen Glauben schenkte. […] In einer Broschüre des Jewish Central Information Office aus dem Oktober 1935 heißt es: „Entscheidend ist, dass der jüdische Sportbetrieb in Deutschland in seiner Gesamtheit so schwer behindert ist und weiter behindert wird, dass die für die Heranziehung einer Sportelite notwendigen Voraussetzungen fehlen.“ […]

Trotz dieser Informationen gelang es den Nationalsozialisten, die Welt über die wahren Verhältnisse im deutschen Sport zu blenden. Ein wichtiger Teil der „Olympia-Fassade“, mit denen gleiche Qualifikationsmöglichkeiten für alle Sportler vorgetäuscht wurden, waren zwei Olympia-Lehrgänge für jüdische Sportler. Sie wurden im Oktober 1934 bzw. Juni 1935 in der Sportschule Wilhelmshöhe im badischen Ettlingen durchgeführt. Diese Lehrgänge fanden ausschließlich für jüdische Sportler statt, sodass die von den Nationalsozialisten geforderte Rassentrennung in diesem Rahmen aufrechterhalten wurde. […] Nach Ende der Lehrgänge wurden nur wenige jüdische Athleten zu sogenannten Ausscheidungswettkämpfen eingeladen, in denen über ihre weitere Olympia-Tauglichkeit entschieden wurde. Auf diesen Sportfesten musste es erstmals zu einer direkten Wettkampfbegegnung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Sportlern kommen. Hier gestaltete die Reichssportführung die Ausscheidungen so, dass alles nur Mögliche dafür getan wurde, um ein möglichst schlechtes Abschneiden der jüdischen Sportler sicherzustellen. […]

Die einzige Athletin, die trotz aller Repressionsversuche der Nationalsozialisten sportliche Höchstleistungen erzielte, war die [...] Hochspringerin Gretel Bergmann. Die gebürtige Laupheimerin, die 1933 aus dem Ulmer FV ausgeschlossen wurde und zunächst nach Großbritannien flüchtete, war 1934 unter Androhung von Gewalt gegen ihre Familie nach Deutschland zurückgeholt worden. Mit der Aufnahme Bergmanns in den Kreis der deutschen Olympia-Kandidaten hatte die Sportführung ursprünglich ihr Festhalten an den gegebenen Zusagen und ihren vermeintlichen guten Willen gegenüber dem jüdischen Sport demonstrieren wollen.

Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland gelang es Bergmann, trotz schlechter Trainingsbedingungen und weniger Kurse unter fachlicher Anleitung ihr Leistungsniveau immer weiter zu steigern. Ausgerechnet bei den Württembergischen Meisterschaften am 27. Juni 1936, zu denen sie im Rahmen letzter vorolympischer Ausscheidungen als einzige jüdische Athletin eingeladen worden war, stellte sie mit einer Höhe von 1,60m den deutschen Rekord ein.

Trotz dieser Leistung wurde Bergmann wenige Tage vor Beginn der Spiele vom Präsidenten des Fachamtes Leichtathletik im DRL Karl Ritter von Halt über ihre Nicht-Nominierung informiert: „Sie werden aufgrund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben.“ Der Versand des Schreibens erfolgte am 16. Juli 1936 und damit genau einen Tag nach Abreise der US-amerikanischen Delegation nach Berlin. Ihren Teamkollegen gegenüber wurde Gretel Bergmann als verletzt gemeldet. […]

Dieser offensichtliche Betrug raubte dem jüdischen Sport in Deutschland auch die letzte Hoffnung auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen. Nach dem endgültigen Scheitern der internationalen Boykottbewegung beachtete die Weltöffentlichkeit diese Entwicklungen jedoch bereits nicht mehr und ließ sich lieber von den scheinbaren Liberalisierungen des NS-Regimes im unmittelbaren Vorfeld der Spiele blenden: So hatte die Reichssportführung, um dem IOC „eine Geste des guten Willens zu demonstrieren“, Ende 1935 die beiden sogenannten „Halbjuden“ Rudi Ball und Helene Meyer für die Winter- bzw. Sommerspiele nominiert. Sowohl der Eishockeyspieler Ball wie die Fechterin Meyer lebten Mitte der 1930er Jahre nicht mehr in Deutschland und kehrten lediglich während der Wettkämpfe nach NS-Deutschland zurück. […]

Trotz dieser Diskriminierungen setzten sich jüdische Sportverbände dennoch mit großem Eifer dafür ein, einige ihrer Athleten in die deutsche Olympia-Mannschaft entsenden zu können. […] Gerade jüdische Sportler aus Deutschland hofften durch eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen die NS-Rassentheorie zumindest symbolisch vor den Augen der Weltöffentlichkeit widerlegen zu können. […]

Henry Wahlig, Die Olympischen Spiele aus Sicht des jüdischen Sports, in: Sport im Abseits. Die Geschichte der jüdischen Sportbewegung im nationalsozialistischen Deutschland, Göttingen 2015, S. 150ff.

Politischer Systemwettbewerb im Spitzensport

Hatte das NS-Regime die Olympischen Spiele für seine Zwecke politisch in Anspruch genommen, so war die Entscheidung einer zeitweiligen Suspendierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg eine politische Botschaft des IOC. In der Geschichte der Olympischen Bewegung hat es zahlreiche Suspendierungen gegeben, längerfristige Ausschlüsse blieben die Ausnahme. Es kam jedoch immer wieder zu freiwilligen Verzichten wie dem der Sowjetunion, die bereits 1928 begann, Spartakiaden [benannt nach dem antiken Rebellenführer Spartacus – Anm. d. Red.] als eigene internationale Sportwettkämpfe auszurichten und bis 1952 nicht an Olympischen Spielen teilnahm.

Deutschland war angesichts seiner Rolle beim Beginn des Ersten Weltkriegs schon nicht zu den Sommerspielen 1920 und 1924 eingeladen worden – ein Akt, der sich 1948 in London wiederholte. Auf der ersten Session des Internationalen Olympischen Komitees nach dem Zweiten Krieg erfolgte aber kein Ausschluss der deutschen Mitglieder, da diese als Individualmitglieder kooptiert (= durch eine Nachwahl noch in eine Körperschaft aufnehmen) worden waren.

Der Deutsche Fußball-Bund wurde hingegen auf dem FIFA-Kongress 1946 in Luxemburg offiziell suspendiert, nachdem das Deutsche Reich schon seit Ende 1942 keine Länderspiele mehr ausgetragen hatte. Die WM 1950 fand im Sommer ohne die beiden deutschen Staaten statt. Erst im September des Jahres 1950 wurde die Bundesrepublik wieder in die FIFA aufgenommen. Der Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 ist zwar retrospektiv als zweiter Gründungsakt der Bundesrepublik mit stark identitätsstiftender Wirkung charakterisiert worden, zeitgenössisch erfolgte jedoch zunächst keine politische Aufladung des als „Wunder von Bern“ betitelten Ereignisses.

Der deutsche Sport, dessen Strukturen nach dem Zweiten Weltkrieg stark von alliierten Konzepten geprägt waren, präsentierte sich weltanschaulich und religiös neutral. Mit dem Deutschen Sportbund (DSB) wurde ein einheitlicher nationaler Dachverband als wesentliche Organisationsinnovation der deutschen Sportselbstverwaltung etabliert.

International forcierte der Kalte Krieg hingegen eine weitere Politisierung des Sports. Das Halbfinale im Wasserball zwischen Titelverteidiger Ungarn und der Sowjetunion bei den Olympischen Spielen in Melbourne am 6. Dezember 1956, unmittelbar im Nachgang zur Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands durch sowjetische Truppen, ist als „Blutspiel von Melbourne“ in die Olympiageschichte eingegangen. Das Match wurde von beiden Seiten mit äußerster Härte geführt und zudem vom australischen Publikum derart lautstark begleitet, dass das Spiel abgebrochen werden musste. Eine vergleichbare Rivalität war auch bei den Eishockeyspielen zwischen der Sowjetunion und der damaligen Tschechoslowakei bei der Weltmeisterschaft 1969 in Schweden auszumachen, die von Stadionzuschauenden und Medien ebenfalls zum Anlass genommen wurden, um Protest gegen die Niederschlagung der Reformbewegung des „Prager Frühlings“ 1968 zu bekunden.

Die deutsch-deutschen Sportbeziehungen im Kalten Krieg standen ganz im Zeichen der allgemeinen Deutschlandpolitik und waren sowohl durch Verflechtung als auch Abgrenzung geprägt. Obwohl seit 1949 zwei deutsche Staaten existierten, bildeten westdeutsche und ostdeutsche Sportlerinnen und Sportler von 1956 bis 1964 insgesamt sechsmal bei Sommer- und Winterspielen eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft; eine getrennte Medaillenwertung erfolgte erst ab 1968.

Für die DDR bot das gesamtdeutsche Team die einzige Möglichkeit zur Olympiateilnahme, da zunächst nur das westdeutsche „Nationale Olympische Komitee für Deutschland“ vom IOC vollständig anerkannt worden war. In den folgenden Jahren bildete der Streit um Flagge und Hymne, vor allem aber über die Auswahl der Athletinnen und Athleten ein politisches Dauerthema, das nur durch hart errungene Kompromisse wie die olympischen Ringe auf schwarz-rot-goldenem Grund und Beethovens „Ode an die Freude“ gelöst werden konnte.

Seit der Entsendung einer formal eigenständigen Mannschaft nutzte die DDR die Olympischen Spiele bzw. den „Kalten Krieg auf der Aschenbahn“ noch stärker öffentlichkeitswirksam, um sich als führende Sportnation zu präsentieren und zugleich die Überlegenheit des Sozialismus zu untermauern.

Die Olympischen Spiele in München 1972, die bewusst als Gegenentwurf zu den Spielen in der NS-Diktatur von 1936 konzipiert wurden, standen im Zeichen der politischen Spannungen und der Blockkonfrontation. Der Blick richtete sich dabei vor allem auf das geteilte Deutschland, da im „Bruderduell“ beide deutsche Teams danach strebten, die nationale Überlegenheit durch Medaillengewinne zu untermauern. In München dokumentierten die „Diplomaten im Trainingsanzug“ einmal mehr die Erfolge der DDR durch eine anhaltende Medaillenflut und verwiesen die Athletinnen und Athleten aus der Bundesrepublik auf die Plätze. Bei den Winterspielen in Sarajewo 1984 rückte die DDR sogar an die Spitze der Medaillenwertung.

Die Erfolge der DDR führten zu einem regelrechten Systemwettkampf mit der Bundesrepublik im Spitzensport. Politisch ging dies mit einem umfassenden Ausbau der nationalen Leistungssportförderungssysteme einher, aber auch mit einem umstrittenen und bis heute nicht vollständig aufgearbeiteten Einsatz verbotener chemischer Substanzen (Doping).

Der internationale Sport wurde seit den 1950er-Jahren stark durch die Dekolonisation geprägt. Zahlreiche ehemalige Kolonien nutzten den Sport als Mittel des Widerstands gegen die koloniale Herrschaft und nach der Unabhängigkeit als Instrument des Nation Building. Zudem verschoben sich die Machtverhältnisse und Stimmgewichte in den internationalen Sportverbänden durch die beträchtliche Zahl neuer Staaten erheblich. Die 1970er- und 1980er-Jahre waren national wie international zudem durch die anhaltende Kommerzialisierung des Sports gekennzeichnet. Den Medien kam dabei eine zentrale Rolle zu. Durch den immer teureren Verkauf von Medienrechten und den Wettbewerb zwischen TV-Sendern um Verwertungsrechte im Sport konnten Vereine, Ligen und vor allem internationale Sportverbände ihre Einnahmen beträchtlich steigern.

Sportboykotte als Mittel der internationalen Politik

Zu den öffentlich stark beachteten Instrumenten der Sportpolitik zählen Sportboykotte und -ausschlüsse. Die Aussperrung von einzelnen Akteuren oder ganzen Ländern bei Sportereignissen hat in der Regel ihren Ursprung entweder in politischen Konflikten oder in sportimmanenten (= dem Sport innewohnenden) Auseinandersetzungen. Wenn von politischen Boykotten bei Olympischen Spielen die Rede ist, rücken die Ereignisse in Montreal 1976, Moskau 1980 und Los Angeles 1984 ins Blickfeld.

Es lässt sich aber zeigen, dass es bei nahezu allen Olympischen Spielen der Neuzeit Boykottaufrufe bzw. Boykotte und Ausschlüsse gegeben hat. Im Jahr 1956 boykottierten die Nationalen Olympischen Komitees (NOK) aus den Niederlanden, Spanien und der Schweiz die Spiele in Melbourne, um damit gegen die Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn zu protestieren. Der Teilnahmeverzicht von Ägypten, Irak, Kambodscha und Libanon richtete sich indes gegen Israels Invasion der Sinai-Halbinsel im Zuge der Suezkrise. Schließlich boykottierte auch China die Spiele von Melbourne, da Peking sich mit einem Alleinvertretungsanspruch für China unter Einschluss von Taiwan nicht durchsetzen konnte.

Die drei Olympischen Spiele von 1976, 1980 und 1984 stellen den Höhepunkt der Boykottbewegung dar. 1976 reisten über 20 nationale Teams unmittelbar vor Beginn der Spiele aus Montreal ab, um auf diese Weise gegen die fehlende Konsequenz des IOC gegenüber dem Apartheid-Regime in Südafrika und die neuseeländische Rugbymannschaft zu protestieren, die im Vorfeld Länderspiele in Südafrika ausgetragen hatte.

Bereits im Oktober 1974, in einer Phase der Entspannung und des politischen Tauwetters im Kalten Krieg, hatte die Sowjetunion den Zuschlag zur Ausrichtung der Sommerspiele 1980 in Moskau erhalten. Als Reaktion auf den Einmarsch von sowjetischen Truppen in Afghanistan und nach Ende der Olympischen Winterspiele 1980 in Lake Placid erklärte das NOK der USA, aus Protest nicht an den Spielen in Moskau teilzunehmen. Insgesamt 41 weitere Staaten schlossen sich diesem Schritt an, darunter auch die Bundesrepublik; aus dem Großteil der westeuropäischen Staaten reisten aber Athletinnen und Athleten nach Moskau. Vor Ort protestierten dann 16 der in Moskau anwesenden Staaten gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, indem sie bei der Eröffnungsfeier keine Nationalflagge zeigten und stattdessen die Olympische Fahne bzw. diejenige des nationalen Komitees trugen. Sieben Staaten schickten lediglich Fahnenträgerinnen und -träger, aber keine Athletinnen und Athleten zur Eröffnung.

Als Reaktion auf den Olympiaboykott 1980 verzichteten vier Jahre später gemeinsam mit der Sowjetunion weitere 18 Staaten, darunter die DDR, auf eine Teilnahme an den Sommerspielen in Los Angeles. Der Boykott der Olympischen Spiele 1988 in Seoul durch Nordkorea, Kuba, Äthiopien und Nicaragua markierte das vorläufige Ende der Boykottaktivitäten von Staaten bzw. Nationalen Olympischen Komitees.

Olympische Spiele im Besonderen und Sportgroßereignisse im Allgemeinen bieten aber weiterhin einen Resonanzboden für Boykotte, die sich indes zunehmend auf Aktivitäten einzelner Athletinnen und Athleten oder von Politikerinnen und Politikern verlagern. Dies kam zum Ausdruck, als sich bei den Olympischen Wettbewerben in Athen 2004, Peking 2008 und Tokio 2021 Athleten aus dem arabischen Raum, darunter vor allem Judokas, jeweils weigerten, gegen Sportler aus Israel anzutreten.

Eine neue Variante von Boykotten wurde unter anderem im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft der Männer 2012 erprobt, als zunächst die Europäische Kommission und dann zahlreiche Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten erklärten, aus Protest gegen die Politik des damaligen autoritär regierenden ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und die Inhaftierung der Oppositionspolitikerin Julija Timoschenko, nicht in die Ukraine, gleichwohl aber zum Mitausrichter Polen reisen zu wollen. Diese Variante von Boykott – der gezielte Repräsentationsverzicht von Staaten – ist mittlerweile unter der Bezeichnung „diplomatischer Boykott“ verbreitet. Vor allem von europäischen Regierungen, die keine offiziellen Delegationen entsendeten, wurde er in der Folge als neue Protestform wiederholt aufgegriffen.

Von der Internationalisierung des Sports zur Sportdiplomatie

Der Sport bot in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur Anlass zur Verstärkung von internationalen Konflikten, wie etwa beim sogenannten Fußballkrieg zwischen El Salvador und Honduras im Juli 1969, sondern stets auch eine Plattform für Friedensbotschaften und politische Annäherung. In den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist der Begriff der „Ping-Pong“-Diplomatie: Umschrieben wird damit das zufällige Treffen und eine hieraus entstandene Freundschaft von zwei Tischtennisspielern aus den USA und China während der Weltmeisterschaft 1971 im japanischen Nagoya. Beide Staaten pflegten zu diesem Zeitpunkt keinerlei diplomatische Kontakte.

Einer Einladung des chinesischen Tischtennisverbands an US-amerikanische Spielerinnen und Spieler folgten weitere gegenseitige Sporttreffen, die in Zusammenkünfte von hochrangigen Politikern aus China und den USA übergingen und am Ende in einem Treffen von US-Präsident Nixon und KP-Chef Mao in Peking gipfelten. Der damalige chinesische Premier Zhou Enlai erklärte: „Never before in history has a sport been used so effectively as a tool of international diplomacy“.

Mit dem Ende des Kalten Krieges änderte sich auch die Sportdiplomatie. Sportwettkämpfe, die zuvor von politischen Spannungen und Boykotten geprägt waren, wurden nun als Ort der Förderung der Völkerverständigung genutzt. Der Fall der Mauer und die Vereinigung Deutschlands im Jahr 1990 übten erhebliche Auswirkungen auf den deutschen Sport aus. Die Sportstrukturen der DDR wurden in das vereinigte Deutschland überführt, die Sportverbände und -systeme verschmolzen. In diesem bisweilen schwierigen Prozess dominierten die westlichen Strukturen, spezifische Elemente des DDR-Sports wie die „Eliteschulen des Sports“ wurden aber beibehalten.

QuellentextSportdiplomatie

Das Bewusstsein für die Möglichkeiten, die der Sport für internationale Zusammenarbeit und zwischenstaatlichen Austausch bietet, ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts erheblich gewachsen. Der Begriff „Sportdiplomatie“, der bereits im Zuge der chinesischen „Ping-Pong“-Diplomatie verwendet wurde, findet heute als strategisch eingesetztes Instrument der sogenannten public diplomacy zunehmend Beachtung. Politische Entscheidungsträger und Diplomaten nutzen ebenso wie Sportverbände und Nichtregierungsorganisationen (NGO) das Mobilisierungspotenzial des Sports, um u.a. eigene Interessen durchzusetzen, Werte zu vermitteln, außenpolitische Botschaften zu verstärken, das eigene Image und Ansehen zu verbessern und um vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen oder zu vertiefen. Neben Sportgroßereignissen wird dabei auch auf Austauschprogramme, Bildungsformate und reale oder digitale Treffen der beteiligten Akteure gesetzt. Auf europäischer Ebene wurde seitens der Europäischen Kommission 2016 sogar eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema „Sportdiplomatie“ eingerichtet, die darauf zielt, das politische Potenzial des Sports auch für internationale Organisationen sowie supranationale Gemeinschaften wie die EU zu beleuchten.

Eine außergewöhnliche Annäherung erfolgte bei den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang 2018. Nachdem die Entspannungsprozesse zwischen Nord- und Südkorea jahrelang brachlagen, vereinbarten die Staaten mit Blick auf die Praxis der Olympischen Winterspiele 2006 in Turin nicht nur den neuerlichen gemeinsamen Einzug der Athletinnen und Athleten aus Nord- und Südkorea bei der Eröffnungsfeier, sondern auch ein gemeinsames Eishockeyteam der Frauen. Vom IOC wurde diese symbolische Politik begrüßt und unterstützt.

Dass seitens der Bundesrepublik auf den Fußball als diplomatisches Instrument gesetzt wurde, mag nicht überraschen. Obwohl bereits 1965 offizielle diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel aufgenommen wurden, war es zu keinen offiziellen Besuchen von politischer Seite gekommen. Geöffnet wurde die Tür ein Stück weit auch durch den Fußball; am 25. Februar 1970 reiste der kommende Bundesligameister Borussia Mönchengladbach nach Tel Aviv. Im Bloomfield-Stadion trat die „Fohlenelf“ unter begeisterter öffentlicher Anteilnahme gegen die israelische Nationalmannschaft an.

Die gerade erst aufgenommenen deutsch-israelischen Beziehungen wurden durch das Attentat bei den zunächst „heiteren“ Olympischen Spielen von 1972 in München stark getrübt. Der Anschlag einer palästinensischen Terrororganisation auf die im Olympischen Dorf einquartierte israelische Mannschaft hatte zur Ermordung von zwei Sportlern und zur Geiselnahme von neun weiteren geführt. Im Rahmen eines misslungenen Befreiungsversuchs der deutschen Polizei wurden alle Geiseln getötet. München markierte auch in der Folge ein Konfliktfeld in den deutsch-israelischen Beziehungen, weil jahrzehntelang über die angemessene Entschädigung zwischen Bundesregierung und Hinterbliebenen des Attentats gestritten wurde.

Wie eng die Chancen und Grenzen der Sportdiplomatie beieinanderliegen, dokumentiert das koreanische Beispiel gleichermaßen: Die Annäherung von Süd- und Nordkorea bei den Olympischen und Paralympischen Winterspielen 2018 hatte im Sommer des Jahres sogar zur Ankündigung geführt, eine gemeinsame Bewerbung beider Länder für die Olympischen Sommerspiele 2032 in die Wege zu leiten. Das IOC stützte diese Pläne durch konkrete Dialogangebote. Im Zuge der Abkühlung des bilateralen Verhältnisses durch nordkoreanische Tests von Kurzstreckenraketen wurden die Planungen aber aufgegeben.

Der russische Krieg gegen die Ukraine als Zerreißprobe für die Sportwelt

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sprach sich der organisierte Sport nach kurzem Zögern weitgehend geschlossen gegen die künftige Mitwirkung von russischen und belarussischen Mannschaften sowie ihren Athletinnen und Athleten bei internationalen Sportwettbewerben aus. Nahezu einhellig folgten im Februar und März 2022 die Sportfachverbände den Empfehlungen des Paralympischen Komitees und des IOC, die Teilhabe beider Staaten am professionellen Sportbetrieb zu unterbinden. Rechnung getragen wurde auch der Empfehlung an die Sportverbände, keine internationalen Wettbewerbe mehr in Russland auszurichten. Begleitet von entsprechenden Forderungen zahlreicher Staaten verließ die Sportwelt mit diesen Entscheidungen den Boden der sportdiplomatischen Aktivitäten der zurückliegenden Jahre und kehrte zur harten Ausschlusspolitik zurück. Russland wurde als einflussreiche Sportnation weitgehend isoliert.

Der Vorstoß des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, und des IOC-Exekutivkomitees hinsichtlich einer möglichen Rückkehr von Sportlerinnen und Sportlern mit russischem oder belarussischem Pass zu den Wettbewerben – wenngleich unter Auflagen wie dem Verzicht auf nationale Symbole wie Fahne und Hymne – läutete Anfang 2023 einen grundlegenden Kurswechsel ein. Mit Verweis auf das auch seitens der Vereinten Nationen (VN) angeführte Argument, dass kein Athlet aufgrund seiner Nationalität dauerhaft ausgesperrt werden dürfe, wurde eine Wiederzulassung derjenigen Sportlerinnen und Sportler in Aussicht gestellt, die den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht aktiv unterstützen.

Die große Mehrheit der Sportfachverbände folgte dem Vorschlag des IOC und trat ebenfalls für die Wiederzulassung ein. Rund 170 NOKs hatten am 25. Januar 2023 der Grundsatzentscheidung des IOC zugestimmt, dass russischen und belarussischen Sportlerinnen und Sportlern prinzipiell eine Wiedereingliederung in den internationalen Sport zu ermöglichen sei, nur 36 NOKs sprachen sich dagegen aus. Diese plädierten mit Verweis auf die Charta der IOC, die in ihrer aktuellen Fassung fordert, den Sport in den Dienst der Menschheit zu stellen und dadurch den Frieden zu fördern, aber auch Gewalt zu ächten, gegen eine mögliche Wiederzulassung von russischen und belarussischen Sportlerinnen und Sportlern.

Mit der im Dezember 2023 schließlich getroffenen Entscheidung, Russen und Belarussen als neutrale Athleten unter Auflagen bei den Olympischen Spielen zuzulassen hat sich das IOC in eine schwierige Lage manövriert: Es droht ein Akzeptanz- und Legitimitätsproblem in der öffentlichen Meinung und bei den Sponsoren. Die westlichen Staaten sehen sich angesichts der Minderheitenposition mit einer diplomatischen Niederlage konfrontiert. Eine erhebliche Anzahl von Sportlerinnen und Sportlern befürchtet im Fall eines Boykotts einen Karriereknick. Und der Sport als Ganzes steht vor einer Zerreißprobe.

Eine tragfähige Kompromisslösung zeichnet sich in dieser Konfliktsituation nicht ab. Vielmehr ähnelt die Lage der Situation in den 1980er-Jahren, als der Kalte Krieg auch im Stadion ausgetragen wurde. Im Rückblick wird die seinerzeitige Instrumentalisierung des Sports für politische Zwecke jedoch als Fehler gesehen, da sie wenig bewirkte. Dass sich nun erneut eine verstärkte Inanspruchnahme des Sports für politische Ziele abzeichnet, birgt Gefahren: Der Sport kann zwar dazu beitragen, Spannungen abzubauen sowie frühere Feinde wieder an einen Tisch zu bringen. Ein Universalinstrument zur Lösung politischer Konflikte ist er aber nicht.

QuellentextSportlerinnen und Sportler aus Belarus und Russland bei Olympia

Russische und belarussische Sportler dürfen als neutrale Athleten an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen. Die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees erteilte Einzelsportlern beider Länder am [...] [8.12.2023] unter bestimmten Auflagen die Starterlaubnis für die Sommerspiele 2024, sofern sie die Qualifikationsbedingungen erfüllen. Damit folgte das IOC einer Aufforderung der internationalen Sommersportverbände und der Nationalen Olympischen Komitees, endlich eine Entscheidung in dieser seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine umstrittenen Frage zu treffen.

Bedingung ist wie bereits für die Rückkehr in internationale Wettbewerbe, dass Russen und Belarussen nur unter neutraler Flagge in Paris dabei sein dürfen. Mannschaften sind nicht zugelassen. Damit darf für die Starter aus Russland und Belarus auch ihre Nationalhymne nicht bei Olympia in Paris gespielt werden, nationale Symbole und Fahnen sind für sie ebenso untersagt.

Außerdem dürfen diese Athleten keine Verbindung zur Armee und den Sicherheitsorganen haben und nicht aktiv ihre Unterstützung für den Krieg in der Ukraine gezeigt haben. Zudem müssen die Anti-Doping-Richtlinien erfüllt sein. Als zusätzliche Auflage fordert das IOC von allen Athleten ein schriftliches Bekenntnis zur Olympischen Charta und damit auch zur „Friedensmission der olympischen Bewegung“.

Bislang wären nach IOC-Angaben acht Russen und drei Belarussen für Olympia in Paris qualifiziert. Unter den rund 4600 schon teilnahmeberechtigten Athletinnen und Athleten seien mehr als 60 Ukrainer, hieß es.

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine waren Russen und Belarussen zunächst von internationalen Sportwettbewerben ausgeschlossen worden. Belarus unterstützt Russland in dem Konflikt. Bereits im Frühjahr hatte das IOC um den deutschen Präsidenten Thomas Bach beiden Ländern aber wieder die Tür zu den großen Sportbühnen geöffnet und den Rahmen für die Teilnahme an Wettkämpfen festgelegt.

So sollte es den Sportlern auch ermöglicht werden, die Qualifikationskriterien für die Sommerspiele zu erfüllen. Eine Reihe von Weltverbänden folgte in den vergangenen Monaten den Vorgaben des IOC und ließ Russen und Belarussen wieder zu.

Die Entscheidung über die Olympia-Teilnahme hatte sich der Dachverband aber bis zuletzt offen gelassen. Im September hob auch das Internationale Paralympische Komitee seinen Komplett-Bann gegen Russland auf und erlaubte russischen Behindertensportlern unter neutraler Flagge den Start bei den Paralympics in Paris. Dies wurde bereits als Vorbote für einen entsprechenden Entschluss des IOC gewertet.

Auch der Deutsche Olympische Sportbund hatte zuletzt seinen Kurs unter Verweis auf die Mehrheitsmeinung im internationalen Sport geändert und für einen Start von Russen und Belarussen in Paris plädiert. „Wenn sich Deutschland als einziges Land dagegen sperren würde, dass Russen und Belarussen unter neutraler Flagge antreten, gäbe es keine internationalen Sportereignisse in unserem Land“, erklärte DOSB-Präsident Thomas Weikert.

„IOC erlaubt Russlands Sportlern Olympia-Teilnahme in Paris“, 8. Dezember 2023 © dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH

Prof. Dr. Jürgen Mittag (geb. 1970); Universitätsprofessor für Politik und Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln; Jean Monnet-Professor und Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Forschungsthemen: Sportpolitik und -geschichte; Sportentwicklung zwischen kommunaler und internationaler Ebene; europäische Integration und politische Systeme in vergleichender Perspektive; Politische Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Vereine und soziale Bewegungen; Tourismus- und Freizeitforschung, Sozial- und Wohlfahrtspolitik.